Joseph-Alfred Ponsin (aktiv ca. 1878-1900)

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»Die Göttliche Sarah« (1844-1923)

Sarah Bernhardt in der Rolle des Zanetto in dem Theaterstück Le Passant (1869) von François Coppée

Paris, Joseph Alfred Ponsin, ca. 1880

194 × 87 cm
Ein ungewöhnliches Zeitdokument aus dem Appartment der Schauspielerin - sehr gut erhalten

Musée Carnavalet, Stadtmuseum von Paris

Dokumentation

Das Fenster zeigt die französische Schauspielerin Sarah Bernhardt in ganzer Figur und im Linksprofil auf einem schwebenden Akanthuszweig inmitten einer Butzenverglasung. Sie trägt eine violette, enge Seidenstrumpfhose, dunkle, knöchelhohe Stiefeletten, eine kurze goldene Pluderhose, eine goldene Weste mit blauen Samtärmeln über einer plissierten Spitzenbluse, und auf ihrem rötlichen Haar ein kleines blaues, mit einer roten Feder dekoriertes Samtkäppchen. Ein langes Schultercape aus Taft ist an ihren Schultern befestigt und fällt in Falten auf das Blattwerk der goldenen Blattranke herab, die der Dargestellten als Standkonsole dient. Sie spielt auf einer Laute und scheint mit leicht geöffnetem Mund zu singen. Eine luftige, zarte Blütenranke schwingt sich empor und umschmeichelt die als Troubadour verkleidete Sarah.

Das lebensnahe Ganzportrait zeigt sie in der Hosenrolle des Zanetto in dem Theaterstück Le Passant des französischen Dichters, Dramatikers und Romanschriftstellers François Coppée (1842-1908). Der Einakter war sein erstes Theaterstück und wurde am 14. Januar 1869 im Pariser Odéon Theater mit großem Erfolg uraufgeführt. Es spielt in Florenz zur Zeit der Renaissance und handelt von dem jungen Troubadour Zanetto, der Silvia verzaubert, eine von der Liebe enttäuschte Kurtisane, die dennoch Angst davor hat, des jungen Mannes Unschuld zu rauben.

Auf dem Glasfenster trägt Sarah dasselbe Kostüm, wie damals auf der Bühne und scheint gerade im Begriff, die ‘Sérénade de Zanetto ou Sérénade du Passant’ des Opernkomponisten Jules Massenet (1842-1912) zu singen, die angeblich ihrem musikalischem Talent entsprochen hat:

»Mignonne, voici l’Avril!
Le soleil revient d’exil;
Tous le nids sont en querelles;
L’air est pur, le ciel léger,
Et partout on voit neiger
Des plumes de tourterelles.

Fuis le miroir séduisant
Où tu nattes à présent
L’or de tes cheveux de fée;
Laisse là rubans et noeuds,
Car les buissons épineux
T’auront bientôt décoiffé.

Prends, pour que nous nous trouvions,
Le chemin des papillons
Et des frêles demoiselles;
Viens, car tu sais qu’on t’attend
Sous le bois, près de l’étang
Où vont boire les gazelles!

Youtube link 

Mit dieser Rolle war Sarah Bernhardt mit 25 Jahren der künstlerische Durchbruch gelungen. Eine »trouser role«, war zu der Zeit ungewöhnlich und konnte wohl nur von einer starken Persönlichkeit wie der Bernhardt verkörpert und gesellschaftlich akzeptiert werden. Das Stück stand wochenlang auf dem Spielplan und neben der beeindruckenden Zahl von insgesamt 140 Vorstellungen fand auch eine vor der kaiserlichen Familie statt.
Das Fenster stammt aus Bernhardt's Haus, das sie sich Ende 1876 von dem Architekten Jules Février im Renaissancestil an der Ecke rue Fortuny und l’avenue Villiers im Pariser 17. Arrondissement erbauen ließ, wo sie bis 1885 lebte. Die Liebesgeschichte und Ehe mit dem Griechen Aristide Damala trieb sie fast in den Ruin, ebenso ihr Sohn Maurice aus der Liaison mit dem belgischen Fürsten Prinz Charles Joseph Eugene Henri Georges Lamoral de Ligne (1837-1914). Das Haus musste sie bald verkaufen, stand insgesamt mehrfach vor dem Nichts, um sich dann immer wieder empor, höher und weiter zu schwingen. Ihre Genialität und Willenskraft, ihr Ehrgeiz und ihr Talent, führten sie unter ihrem Motto »Ich will sterben, wenn ich nicht die größte Schauspielerin der Welt werden kann«, auf ausgedehnte Tourneen durch Amerika und machte sie zu einem Weltstar. Sie wird als erster Medienstar des Theaters bezeichnet. 1887 kaufte sie ein anderes Haus, 56 boulevard Pereire, wo sie bis zu ihrem Tod 1923 wohnte. Beide Häuser wurden abgerissen, das erste 1970, das zweite bereits 1965. 

Zusammen mit seinem Pendant, das Sarah in der Rolle der Königin Doña Maria de Neubourg in Victor Hugos tragic drama Ruy Blas zeigt (die Rolle, mit der sie 1872 den Sprung zurück an die Comédie Française schaffte, aus der sie zuvor ausgeschlossen worden war), ließ sie das Fenster in dem damals bekannten Atelier von Joseph-Alfred Ponsin herstellen. Dieser hatte sein Haus 1879 auch in der eleganten rue Fortuny gebaut, unweit von Sarahs Residenz. Eine seiner Arbeiten wurde 1878 auf der Pariser Weltausstellung prämiert.

Die beiden Glasfenster stellen ein sehr persönliches Dokument der Auftraggeberin dar, das Rückschlüsse auf ihr Selbstverständnis zuläßt und eine leidenschaftliche Verschmelzung ihrer Persönlichkeit mit dem Beruf aufzeigt. Dies entspricht auch ihrem Motto »Ich will sterben, wenn ich nicht …..«. Sie hat sich in ihrem Haus ein Denkmal gesetzt, indem sie sich und ihren Gästen die Bedeutung der beiden wichtigsten Rollen, die ihren Ruhm in jungen Jahren begründet hatten, täglich vor Augen führte. Kaum anzunehmen, dass sie die Fenster in ihrem ersten Haus zurückliess, sondern diese sicher in ihr neues Heim am boulevard Pereire mitnahm, um sich damit bis an ihr Lebensende zu umgeben.

In Amerika feierte die sie trotz vieler kritischer Stimmen hinsichtlich ihres Lebenswandels große Erfolge, insbesondere mit der ihr im wirklichen Leben nahestehenden Rolle der Marguerite Gautier in Alexandre Dumas’ Kameliendame. Sie spiele mit ihrem Herzen und mit ihren Eingeweiden, urteilte der damalige Doyen der Pariser Kritiker, Francisque Sarcey, überwältigt.

Zahlreiche Publikationen, Zeichnungen und Ölportraits verschiedener zeitgenössischer Künstler dokumentieren das kapriziöse Leben dieser eigenwilligen Ausnahmeerscheinung in der Welt des Theaters, die auch selbst in der bildenden Kunst tätig war.

 
Signatur des Glasmalers Joseph-Alfred Ponsin in der 34 Rue Fortuny, Paris
 
 
Literatur
- Die jüngste Biographie stammt von Robert Gottlieb: The Life of Sarah Bernhardt, published in 2010
  (New Haven/London); die deutsche Übersetzung kam 2012 heraus (Die Göttliche Sarah Bernhardt,
  ISBN 978-3-86930-471-7)
 
- Portraits de Sarah Bernhardt, Ausstellungskatalog (Paris, Bibliothèque Nationale de France, Oktober
  2000 – Januar 2001), Paris: Bibliothèque Nationale de France, 2000
 
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