Johannes Hewel (1947-2009)

Zurück zur Liste

Filius Prodigus - Der Verlorene Sohn - Glasgemälde-Trilogie

1. Bein/Holz, Glas
2. Bein/Glas, Glas
3. Bein/Bronze, Glas

Rot am See/Stuttgart, 1991 - Freie, eigenhändige Arbeit des Künstlers

Jede Scheibe H. 112,3 cm, B. 27,7 cm
Jede zweigeteilt in zartblauem Überfangglas, oben dunkler, unten heller, durch eine Bleirute miteinander verbunden, vorderseitig mit Schwarzlot bemalt, gewischt und radiert

Dokumentation

Mit dem lateinischen Namen „Filius Prodigus“ betitelte Johannes Hewel drei schmale, hochformatige Glasbilder, in denen er, inspiriert vom biblischen Gleichnis bei Lukas 15 und von der literarischen Version André Gide’s „Le retour de l’enfant prodigue“ (1907), die Geschichte des „verlorenen Sohnes“ erzählt.  Auf jeder der zweiteiligen Scheiben ist ein Bein dargestellt, auf dem – einer Tätowierung, einer Gravur oder den gemusterten Beinlingen der Indianer-Kleidung ähnlich – stenogrammartige Zeichen und Kürzel geritzt sind.

Die erste Scheibe zeigt die Geburt: ein Haus, darin ein Paar an einem Tisch, auf den gerade der Sohn aus einer Wolke voller Sterne vom Himmel gefallen ist. Vom Haus schlängelt sich beinabwärts ein Weg, der vorbei an einer Pflanze in einem menschlichen Kopf endet, woraufhin sich dieser angewidert aus halbgeöffneten Mund in eine darunter platzierte Schale erbricht. Dieses Motiv wiederholt sich an gleicher Stelle auf allen drei Scheiben. Die zweite Scheibe zeigt das Verprassen des väterlichen Erbes: im oberen Teil steht sich ein Paar gegenüber, zwischen dem eine große, gebauchte Flasche schwebt, darüber ein Hut und eine Lampe. Auf dem zackig nach unten führenden Weg sind menschliche Karikaturen auszumachen, Pflanzen, Ausbuchtungen und auch ein Auto mit brennenden Scheinwerfern, das Richtung Schienbein fährt, dem sich übergebenden Kopf entgegen. Die dritte Scheibe deutet mit wenigen Strichen und Symbolen den Weg ins Paradies an: oben der Paradiesgarten, von dem ein geradliniger Weg senkrecht zu dem sich erbrechenden Kopf führt, der sich nun in seinen Konturen aufzulösen erscheint. Oder geht der Weg vom Kopf geradewegs ins Paradies?

Während die Geschichte des „verlorenen Sohnes“ in der Bibel mit einem großen Freudenfest und dem Verzeihen des Vaters endet, führt André Gide die Geschichte weiter. Der heimgekehrte Sohn trifft nicht nur auf seinen älteren Bruder, sondern auch auf einen jüngeren, der in seiner Abwesenheit geboren wurde. Dieser möchte gleich dem größeren Bruder das Haus verlassen und in die Welt hinaus ziehen. Die Mutter bittet den Heimkehrer inständig, den kleinen Bruder zurückzuhalten, was er aber nicht vermag und nicht will – in der Hoffnung, dass dieser schafft, frei zu sein und seine Träume zu leben. Der speiende Kopf, der sich auf jeder Scheibe beharrlich wiederholt, drückt die Enttäuschung über das eigene Versagen aus, nicht geschafft zu haben, „der zu sein, der Du sein wolltest“.

Literatur
Der Text ist publiziert in:
Glasmalerei der Moderne, Faszination Farbe im Gegenlicht
Bearbeitet von Jutta Dresch
Katalog zur Sonderausstellung im
Badischen Landesmuseum Karlsruhe
9. Juli bis 9. Oktober 2011
Karlsruhe 2011, Kat. 78a-c, S. 219f.

Mehr lesen

Print
Contact us
Biografie Johannes Hewel

Farbglasmalerei